Gheorghe Hagi wird 60: Nummer Zehn lebt

Gheorghe Hagi schlug geniale Pässe und schoss traumhafte Tore, trotzdem blieb er viele Jahre nur als osteuropäische Kopie des großen Diego Maradona in Erinnerung. Schade eigentlich.

Feb 5, 2025 - 17:04
 0
Gheorghe Hagi wird 60: Nummer Zehn lebt

Irgendwann waren sie alle kleine Götter. Mittelmäßige Zweitligaspieler, die mal einen Pass über 30 Meter geschlagen oder einen Übersteiger fabriziert hatten. Ungelenkte Vorstopper, die versehentlich mal einen Schuss in den Winkel gedreht oder einen Ball mit der Hacke weitergeleitet hatten. Wenn man in den neunziger Jahren nicht bei drei auf den Bäumen war, klebte prompt der beliebteste Boulevard-Zusatz an einem: ...-Maradona.

Vom Alpen- zum Maurergesellen-Maradona

 
Es gab also: einen Alpen-Maradona (Andreas Herzog), einen Bosporus-Maradona (Emre Belozoglu), einen Singapur-Maradona (Abbas Saad), einen Balkan-Maradona (Edvin Murati), einen Südkorea-Maradona (Yoo Young Park) und einen Wüsten-Maradona (Saeed Owairan). Selbst Hans-Werner Reif, der in den achtziger Jahren 14 semi-gute Spiele für den 1. FC Köln bestritt, konnte sich mit dem glorreichen Zusatz schmücken – eines Tages war er bekannt als der Maurergesellen-Maradona.
 
Es stimmt ein wenig traurig, dass auch Gheorghe Hagi in dieser Quatschsammlung auftaucht – als Karpaten-Maradona, was wie bei den anderen nach einer billigen Plastik-Kopie eines Superprodukts, ein Überspieler mit Augenzwinkern. Gewiss war der Rumäne nicht so erfolgreich und schillernd wie der Maradona-Maradona, aber dennoch genial und einzigartig genug, um ihn einfach so zu nennen wie er hieß: Gheorghe Hagi.
 
Als Steaua Bukarest 1989 zum fünften Mal hintereinander den Meistertitel gewann, ging für Hagi die bis dato beste Saison seiner jungen Karriere zu Ende. Der Mittelfeldspieler hatte sagenhafte 31 Mal getroffen, und der „Kicker“ berichtete ehrfurchtsvoll von einem Mann, den sie „schon den ›Maradona des Ostens‹ nennen“ würden. Hagi war da 23 Jahre alt und studierte nebenher BWL an der Universität in Bukarest. Mit Fußball war im Rumänien der Achtziger kein großes Geld zu verdienen.

Das wussten natürlich auch die großen Vereine aus dem Westen, und so standen sie nun Schlange beim neuen Wunderspieler aus Bukarest, doch Steaua schickte sie alle nach Hause. „Gheorghe ist uvnerkäuflich!“, hieß es immer wieder. Besonders der AC Mailand und Juventus Turin umgarnten den Spieler seinerzeit, das Höchstgebot stand bei elf Millionen Mark. Zum Vergleich: Inter Mailand hatte Lothar Matthäus ein Jahr zuvor für 8,4 Millionen Mark gekauft. 

Doch Hagi blieb. Vielmehr: Er musste bleiben und stieg zum Intimus des Ceaucescu-Clans auf. Der Diktator tat alles, um dem jungen Starspieler die Verlockungen aus dem Westen madig zu machen. Einmal schenkte Valentin Ceaucesu, Sohn des Herrschers, seinem Fußballfreund einen Mercedes mit Chauffeur und eine Villa mit Swimming-Pool. Dazu gab es vom Vater einen dreiwöchigen Kairo-Urlaub. Hagi selbst nahm die Sachen, ohne das System groß zu hinterfragen. Erst viele Jahre später äußerte er sich in einem Interview in der „Sportbild“ zu jener bleiernen Ostblock-Zeit: „Bei jedem Aufenthalt im Westen bekam ich Angebote. Wie gern hätte ich mich mit den Profis im Westen gemessen, mit den Großen im Fußball. Es wäre leicht gewesen, mich abzusetzen, doch das wollte ich nicht. Ich hätte meine Familie wohl nie wiedergesehen.“

Aufbruch in den Westen
 
Dann kam das Jahr 1990, und auf einmal war alles anders. Die Welt stand offen, Ceaucesu war gestürzt, es roch nach Aufbruch und einem zweiten Leben. Hagi wollte nun selbst diktieren – am liebsten das Mittelfeld einer europäischen Topklubs.
 
Wenig später wechselte er für etwas mehr als sechs Millionen Mark zu Real Madrid, und plötzlich war er in aller Munde. Was allerdings nicht so einfach war, vor allem bei Europapokalspielen verknoteten sich die Reporter gerne die Zungen, wenn es darum ging, seinen Namen richtig auszusprechen. Einige sagten, Hagi würde sich auf „Maggi“ reimen, anderen behaupteten, sein Name spreche sich wie ein Nießgeräusch („Hadschi“). Hagi selbst musste dann verbessern: „Mein Name lautet  Rrrrr-hadschi – mit rollendem R und anschließendem H.“ Was für ein Name für einen Mann, der so filigran und gefühlvoll mit dem Ball umging und mit seinem linken Fuß vermutlich auch eine Sinfonie von Bach spielen konnte.

Auf dem Platz lief es in Madrid allerdings nur selten gut. War der Druck zu stark? Die Konkurrenz zu übermächtig? Die Welt zu groß? „Ich versagte“, gab Hagi später zu. „Ich machte mir vor diesen ganzen Superstars fast in die Hosen. Es war wie damals in der Schule.“ Der einst so gefeierte Mittelfeldspieler blieb nur zwei Jahre, in denen er 14 Tore schoss – nicht genug für einen, der mit einer Trefferquote von 0,89 aus Rumänien gekommen war.
 
1992 folgte ein Neuanfang im beschaulichen Brescia, direkt am Gardasee. Es gab nur einen kleinen Schönheitsfehler: Brescia Calcio spielte damals nur in Serie B. Dennoch sagte Hagi nach den ersten Monaten: „Es muss einiges passieren, damit ich hier wieder weggehe.“

„Wie sie da lässig standen“
 
Und es passierte einiges. Zum Beispiel bei der WM 1994. Dort brillierte Gheorghe Hagi wie kaum ein anderer Mittelfeldstratege. Gegen Kolumbien schoss er einen Ball aus 30 Metern in den Winkel.

Dann kam das Achtelfinale gegen Argentinien, und alle Welt hoffte auf das Duell zwischen dem Karpaten-Maradona und dem Maradona-Maradona. In einem Interview erinnerte er sich in jenen Tagen: „Früher wollten wir solche Spieler unbedingt besiegen, weil wir neidisch auf sie waren. Wie sie da lässig mit ihren neuen Schuhen und modernen Fußballtrikots standen. Wir trugen alte Leibchen und abgenutzte Schlappen.“  Doch Diego war nach dem letzten Gruppenspiel gegen Bulgarien wegen Dopings vom Turnier ausgeschlossen worden. Hagi trauerte kurz und schoss dann das vorentscheidende 3:1. Rumäniens Nationalelf feierte dank Hagi den größten Erfolg ihrer Geschichte.

„Er ist ein Supermann“
 
Es war Hagis Wiedergeburt. Denn plötzlich jubelten ihm wieder die europäischen Topklubs zu. „Er ist ein Supermann“, sagte etwa Barcelonas Trainer Johan Cruyff und lotste den Spieler ins Camp Nou. Da stand er nun, der Mann, der die Tiefe des Raumes liebte, das Risiko des Passes, die Freiheit des Spiels. Der mit dem Ball tanzen konnte wie kaum ein anderer. Er war bereit für eine Ära, er war bereit für die Macht des FC Barcelona – und musste sich im Starensemble nach wenigen Spielen wieder mit einem Platz auf der Bank begnügen.
 
Sein letztes Kapitel hieß Istanbul. Mit Galatasaray gewann Hagi den Uefa-Cup, wurde viermal türkischer Meister und zweimal türkischer Pokalsieger. Die Türken lagen ihm spätestens nach dem Triumph in Europa zu Füßen, denn bis dahin hatte noch nie eine türkische Mannschaft einen internationalen Titel errungen. Hagi wusste um seine Beliebtheit. Bis zuletzt soll er selbst entschieden haben, ob und wie lange er spielt.

Wann kommt der Brasilien-Hagi?
 
In Rumänien verehrten sie ihn schon seit seinen Erfolgen mit Steaua wie ein Gott. „Es ist unmöglich, mit ihm auszugehen“, sagte sein Mitspieler Dorinel Munteanu mal. „Er wird an jeder Straßenecke angequatscht.“  In jenem glorreichen Spätherbst führte man in Rumänien eine Umfrage durch. Die Frage: Wer soll Staatspräsident werden? Das Volk antwortete mit großer Mehrheit: Gheorghe Hagi.
 
Nach Hagis Karriereende im Jahr 2001 holte Galatasaray noch fünf Mal die Meisterschaft, und doch sehnten sich die Fans nach seinen kühnen Tricks und seiner Übersicht. Es kamen eine Reihe guter Spieler. Doch war jemals wieder einer wie Hagi dabei? War Felipe der Brasilien-Hagi? Saša Ilić der Balkan-Hagi? Harry Kewell der Down-Under-Hagi?
 
Irgendwann mussten sie feststellen: Gheorghe Hagi, diesen Wunderjungen aus dem kleinen Städtchen Săcele, gab es nur einmal. Und das ist auch gut so. Heute wird er 60 Jahre alt.