Il calzolaio

Der kleine, grosse Dorfschuster: Luigi Trinchera, genannt Gino. Rund 1.6 m gross. Jahrgang 1938. Heimatort: Nardo in Apulien, tief unten, in der Ferse Italiens. Als Sohn einer einfachen Familie, die ihren Lebensunterhalt mit Arbeit in einer nahen Tabakplantage verdiente, ging er schon in jungen Jahren einem Schuhmacher zur Hand, verdiente sich damit ein paar Lire. … Il calzolaio weiterlesen →

Jan 26, 2025 - 14:38
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Il calzolaio

Der kleine, grosse Dorfschuster: Luigi Trinchera, genannt Gino. Rund 1.6 m gross. Jahrgang 1938. Heimatort: Nardo in Apulien, tief unten, in der Ferse Italiens. Als Sohn einer einfachen Familie, die ihren Lebensunterhalt mit Arbeit in einer nahen Tabakplantage verdiente, ging er schon in jungen Jahren einem Schuhmacher zur Hand, verdiente sich damit ein paar Lire. Im Alter von 14 Jahren nähte er sich seine ersten Mokassins aus weichem Leder. Mit dem verdienten Taschengeld leistete er sich Unterrichtsstunden im Notenlesen. Ohne Instrument, nur in der Theorie. Die Klarinette kam erst später zu ihm, ein Geschenk seiner Eltern, die dafür hart sparen mussten.

Luigi hat sich für seine alten Tage warm gefütterte Hausschuhe geschustert: Mokassins.

Später wurde er zum Militär eingezogen, sein Instrument brachte ihm Glück: er durfte seine Rekrutenschule in einer Armeekapelle auf Sardinien und in Norditalien ableisten. Danach schlug er sich 2 Jahre mit Gelegenheitsarbeiten in Rom durch, harte Jahre, wenig Lohn, manchmal nichts zu essen. Auf Anraten eines Freundes, der vor ihm in die Schweiz emigriert war, suchte und fand er Arbeit im Schweizer Jura. Erst in einer Schuhfabrik für Arbeitsschuhe, wenig später bei einem Schuhmacher in Bassecourt. Sein Meister widmete sich der Herstellung von Militärschuhen für die Eidgenossenschaft, Luigi befasste sich mit dem feineren Schuhwerk. Im Ort engagierte er sich sofort im Musikverein, der „Fanfare L’Union de Bassecourt“ was seine Integration erleichterte. Im Dorftheater lernte er seine spätere Frau kennen. 1966 wurde geheiratet, die Hochzeitsreise führte die beiden im Ford Cortina in seine alte Heimat. Ab 1971 bis zu seiner Pensionierung 2002 arbeitete er in der lokalen Uhrenindustrie als Lapideur. Mit Lapidieren wird das Polieren, neudeutsch „finishing“ von Gehäuse-Rohlingen bezeichnet. Die Fabrik wechselte in den Jahren der grossen Uhrenkrise mehrfach ihre Besitzer, bis sie 2003 endgültig geschlossen wurde.

Wer sein ganzes Leben hart gearbeitet hat, kann nicht einfach aufhören. In der Garage im Keller seines kleinen Häuschens richtete er sich mit alten Maschinen eine Cordonnerie ein. Beinahe ein Museum. Kein öffentliches Ladengeschäft. Wer etwas geflickt oder umgearbeitet haben will, ruft vorher an oder klopft einfach an seine Türe.

An den Wänden stapeln sich Schuhleisten

Die Singer singt…

Der Adler quietscht…

Auch kaputte talons hauts (stilettos) werden von Gino noch repariert

Seit dem Tod seiner Partnerin lebt Luigi allein. Morgens arbeitet er in seiner Werkstatt, nachmittags geht er spazieren, sonntags auf den Friedhof, ans Grab seiner Frau.

Wir hoffen, dass er das noch lange kann.

Der schöne italienische Schuh habe ausgedient, es gibt ihn nur noch in der Designervariante zu entsprechenden Preisen. China und andere Länder des Ostens beherrschen den Massenmarkt. Viel Kunstleder, Plastik, aufgespritzte Sohlen. Reparaturen lohnen nicht mehr, sie kosten mehr als ein neues Paar Schuhe aus Vietnam. Der Beruf des Schuhmachers habe keine Zukunft mehr.

Alle 5 Jahre zahle er die Gebühr für die Verlängerung seiner Aufenthaltbewilligung. Das erinnere ihn daran, dass er hier Fremder sei, fremd, wie er es inzwischen auch in Italien geworden ist.

Quellen:
Meine Fotos habe ich 2022 aufgenommen. Die Biographischen Fakten stammen aus dem Artikel „Luigi Trinchera… le petit cordonnier du village, roi de la talonnette silencieuse“ im „Le Quotidien Jurassienne“, vom 11.01.2025