„Wohlstand in Gefahr“: Was Wirtschaftsvertreter zur Migrationsdebatte sagen

Statt über Auswege aus der Wirtschaftskrise zu streiten, dreht sich im Wahlkampf alles nur noch um das Thema Migration. Wirtschaftsvertreter sehen das kritisch und warnen vor einer zu strikten Abschottung  

Feb 4, 2025 - 23:33
 0
„Wohlstand in Gefahr“: Was Wirtschaftsvertreter zur Migrationsdebatte sagen

Statt über Auswege aus der Wirtschaftskrise zu streiten, dreht sich im Wahlkampf alles nur noch um das Thema Migration. Wirtschaftsvertreter sehen das kritisch und warnen vor einer zu strikten Abschottung

 

An der Wirtschaftspolitik ließ sich die Ampel-Regierung sprengen. Die Wirtschaftspolitik sollte im Zentrum des Wahlkampfs für die Neuwahl stehen. Auch für die Wähler ist sie aktuell das wichtigste Thema. Doch seit dem tödlichen Messerangriff eines ausreisepflichtigen Afghanen auf ein Kleinkind und einen Mann in Aschaffenburg dreht sich die Debatte fast nur noch um eine schärfere Migrationspolitik. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz setzte diese noch vor der Wahl auf die Tagesordnung im Bundestag und nahm für seine Ziele sogar die Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD in Kauf. Nicht nur für linke Parteien und Wähler hat er damit die „Brandmauer“ eingerissen. Auch aus Sicht der seit Jahren gebeutelten Unternehmen ist seine Gangart gefährlich.

„Unser Wohlstand ist in akuter Gefahr“, warnt der Geschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW, Christoph Ahlhaus, auf eine ntv.de-Anfrage zur Migrationsdebatte. „Deutschlands Wirtschaft hat keine Zeit mehr zu verlieren.“ Die Mittelstandsvertreter würden es „begrüßen, wenn sich die politischen Akteure schleunigst wieder den drängenden Problemen der Unternehmerinnen und Unternehmer zuwenden würden“.

NL Die WocheDie Migration zählt offensichtlich nicht dazu, im Gegenteil ist die deutsche Wirtschaft auf Zuwanderung angewiesen. Selbst die Union will angesichts des Fachkräftemangels zwar die ungenutzten Potenziale aus dem Inland heben, etwa Arbeitslose und Teilzeitbeschäftigte. „Klar ist aber auch: Ohne zusätzliche Fachkräfte aus dem europäischen und nichteuropäischen Ausland werden wir einen wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt nicht gewährleisten können“, hieß es in einem Entschließungsantrag der Fraktion.

Stoppsignal für Fachkräfte und Handelsströme

Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner, betont nun gegenüber ntv.de mit Blick auf eine Verschärfung der Migrationspolitik, Deutschland müsse „ein attraktives Land für die Einwanderung von Arbeitskräften“ sein. „Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung für den Standort.“

Dauerhafte Grenzkontrollen, wie sie die Union fordert, sind eine weitere Gefahr für die schwächelnde Industrie. Der BDI fordert deshalb, „Grenzkontrollen so effizient und unbürokratisch wie möglich“ zu gestalten. „Der freie grenzüberschreitende Waren- und Personenverkehr ist für die international vernetzte deutsche Industrie entscheidend“, mahnt Gönner. Immerhin erkennt sie bei den Entscheidern die nötige Sensibilität, „die Folgen für Waren- und Personenverkehr möglichst gering zu halten“.

Längere Wartezeiten an den Grenzen könnten Kosten im neun- bis niedrigen zehnstelligen Euro-Bereich verursachen, rechnete Matthias Lücke vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) dem „Spiegel“ vor. Gravierender seien die negativen Auswirkungen auf die Handelsströme und daraus resultierende Wohlfahrtsverluste. Bei umfänglichen statt stichprobenartigen Kontrollen an den deutschen Grenzen könnten die Importe aus anderen EU-Staaten demnach langfristig um bis zu drei Prozent sinken. Die tatsächlichen Kosten hingen allerdings davon ab, wie viele Geflüchtete abgewiesen würden. „Da die fiskalischen Kosten der Aufnahme von Flüchtlingen nennenswert sind, können sich Grenzkontrollen ökonomisch unter Umständen lohnen.“

Neue Unsicherheit für Unternehmen

Neben Zurückweisungen an den Grenzen verlangt die Union unter anderem die Aussetzung des Familiennachzugs für bestimmte Gruppen. Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) würden die Pläne „die Integration erschweren, die Arbeitskräftelücke vergrößern und die Kosten für den Staat erhöhen“, kritisierte DIW-Präsident Marcel Fratzscher.China wird zur Bedrohung für BASF, Merck und Lanxess

Das deutsche Handwerk mahnt „alle Parteien der demokratischen Mitte“, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und „gemeinsam eine zukunftsorientierte Migrationspolitik“ zu gestalten, wie Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), ntv.de mitteilt. Integrationshürden müssten abgebaut, eine gesteuerte Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften ermöglicht werden. „Das Handwerk braucht pragmatische Lösungen zur Fachkräftesicherung, keine politischen Spielchen.“

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, verurteilte, dass die Union für ihre Ziele die Stimmen der AfD nutzte. Die Ereignisse im Bundestag dürften von möglichen künftigen Koalitionspartnern kaum als vertrauensbildende Maßnahme interpretiert werden, sagte sie dem „Handelsblatt“. „Das wird die Koalitionsverhandlungen nicht einfacher machen und die Unsicherheit eher erhöhen, wie zügig nach der Wahl eine Regierungsbildung gelingen wird. Unsicherheit aber schwächt nachweislich die Investitionstätigkeit der Unternehmen.“

Wirtschaft braucht neuen Antrieb

Dabei müsste die neue Bundesregierung vor allem schnell Planungssicherheit für die Unternehmen schaffen, hatte Schnitzer nach dem Ampel-Aus gegenüber ntv.de betont. „Das ist in den letzten Jahren durch die vielen großen Krisen, aber auch durch politische Uneinigkeit auf der Strecke geblieben.“Böttcher AG

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter, hält eine Diskussion über die Migrationsherausforderungen zwar für notwendig. Aber: „Die wirtschaftlichen Herausforderungen bleiben bestehen“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Je stärker unsere Wirtschaft wächst, desto einfacher wird es sein, gesellschaftspolitische Herausforderungen zu bestehen.“

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.