Zwischen Veränderungserschöpfung und Disruptionslust [Gesundheits-Check]

Darüber, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse tiefgreifend und in einem hohem Tempo ändern, besteht vermutlich weitgehend Konsens. Man kommt gar nicht mehr hinterher, das eigene Leben auf die immer neuen Veränderungen auszurichten, sich zu positionieren. Unternehmen würden von fehlender Planungssicherheit sprechen, und in der Tat mussten in den letzten Jahren auch sie, nicht nur wir…

Jan 27, 2025 - 17:46
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Zwischen Veränderungserschöpfung und Disruptionslust [Gesundheits-Check]

Darüber, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse tiefgreifend und in einem hohem Tempo ändern, besteht vermutlich weitgehend Konsens. Man kommt gar nicht mehr hinterher, das eigene Leben auf die immer neuen Veränderungen auszurichten, sich zu positionieren. Unternehmen würden von fehlender Planungssicherheit sprechen, und in der Tat mussten in den letzten Jahren auch sie, nicht nur wir Lebensunternehmer, stets flexibel sein. Der „flexible Mensch“ ist zum alltäglichen Rollenmuster geworden, sofern man es in dieser etwas paradoxen Form ausdrücken will.

Kein Wunder, dass Soziologen früher oder später eine „Veränderungserschöpfung“ diagnostiziert haben. Es geht alles zu schnell, man kommt nicht mehr zur Ruhe, kann sein Leben nicht mehr vernünftig organisieren. Morgen ist schon wieder alles anders.

„Veränderungserschöpfung“ war gestern. Jetzt haben wir, alles ist auch da schon wieder anders, eine ausgesprochene Disruptionslust. Es heißt, die Menschen hätten sich bequem eingerichtet, alles sei unendlich verkrustet, Innovationen kämen nicht voran, es dauere alles zu lange. So wie bisher könne es nicht weitergehen, es müsse sich grundsätzlich etwas ändern, wir bräuchten ein bisschen mehr Musk und Milei.

Was nun? Veränderungserschöpfung oder Disruptionslust? Hat sich auch unser Mindset einfach verändert? Oder fühlen die einen so, die anderen so? Oder ist das gar kein Widerspruch, sind das vielleicht nur zwei Seiten der gleichen Medaille? Wird Disruption attrativ, gerade weil uns die permanenten Veränderungen überfordern? Tabula rasa, der eine, große befreiende Schlag gegen das ewige Einbisschenanders, zumal wenn man es nicht mehr als kontinuierlichen Verbesserungsprozess erfährt, sondern nur noch als Hamsterrad des Schonwiederanders bei unveränderter Problemlage? Oder ist „Disruption“, man kennt ja die Verführungskraft symbolischer Politik, gar nur ein neues Chiffre für Weiter-so, weil man an den hohen Mieten, der Pflegemisere oder der maroden Bahn überhaupt nichts ändern will und es, umgekehrte Feuerbachthese, nur darauf ankommt, die Welt anders zu interpretieren, aber nicht zu verändern?